Preisträger*innen, Preisträger*innen 2021, Sprichcode, Sprichcode Archiv

Sieger*innen Literatur 2021

Wir gratulieren den Siegerinnen!

Siegerinnen Literatur:
Flussabwärts | Anna Hackl
Jenseits der bekannten Welt | Arianna Roider
Wenn die Schlangen schlafen | Laura Wiesinger

Flussabwärts | Anna Hackl

1

Er sieht das Wasser gar nicht mehr. Jeden Tag ist es neben ihm, jeden Tag außer am Wochenende. Jeden Tag seit dreizehn Jahren um sechs Uhr achtunddreißig der kurze Moment, an dem die U-Bahn über die Floridsdorfer Brücke fährt und links und rechts nur Wasser ist. Ein Fluss, dem Menschen Lieder widmen.

Zuhause die Kinder, die Frau, der getrennte Müll und die Rechnungen im Briefkasten. Er in der Bahn. Die Frau, die er nicht mehr kennt. Der Jahrestag, den er immer öfter vergisst. Die Kinder, die herrschsüchtigen. Zuhause, Bahn, Büro, Bahn, Zuhause, es ist ein Zirkus, ein gleichbleibender. Er sieht sich in den wabernden Scheiben der U-Bahn: nur Konturen.

Die Ledertasche auf seinem Schoß. Dokumente oder Leere darin, es ändert nichts. Einmal wollte er mit seiner Schwester einen Drachen bauen, Jahrzehnte her. Stattdessen väterliche Prügel und der mütterliche Auftrag, besser auf die Schwester aufzupassen. Das Piepsen der Bahn, Endstation, Wien Floridsdorf. Steigt aus, kauft Gebäck, Brösel auf dem Hemd. Wischt sich mit dem Handrücken über das rasierte Gesicht. Zuhause der tote Hund im Garten.

Er grüßt den Trafikbesitzer mit der freien Hand, lächelt dabei, sagt einen Satz, würde gerne tauschen, so gerne. Sieht die Schlange vor der geschlossenen Tür. Erwachsene, Kinder. Das Ö von EINWANDERUNGSBEHÖRDE ist abgefallen. Er schaut vorbei, schließt kurz die Augen, während die Beine weitergehen, weiter Richtung Büro. Popsongs und Gummibäume. Grüßt kurz die Kollegin und lässt sich auf den Drehstuhl fallen. Fährt den Computer hoch, schaut aus dem Fenster in den Innenhof.

… ganzen Text lesen

Jenseits der bekannten Welt | Arianna Roider

Ich sitze ganz vorne am Bug. An der Spitze des Segelbootes. Dort, wo die Backbord- und die Steuerbordreling aufeinandertreffen, ist ein kleines Brett angebracht. Und da sitze ich und spüre den Wind in meinem Gesicht. Wie eine zarte Hand streicht er über meine Haut und und lässt meinen langen bunten Rock flattern. Ich rieche das Meer, salzig und unendlich weit. Das Wasser, das gegen den Rumpf prallt, schickt feine Wassertropfen zu mir hoch und kühlt meine Haut, denn trotz des Windes strahlt die Sonne heiß herunter und lässt die Wellenkämme glitzern wie Edelsteine. 

Die Horizontlinie verschwimmt fast zwischen dem Blau des Meeres und des Himmels. Hinter mir blähen sich die Segel im Wind. In der Ferne springen zwei Delfine aus dem Wasser. Ich beobachte sie bei ihren Kunststücken, bis sie wieder in den Tiefen des Ozeans verschwinden. Ich schließe die Augen und recke lächelnd meine Nase in den Wind. Ich fühle mich frei. Es ist einer dieser Tage, an denen alles stimmt, die ganze Welt toll ist und ich am liebsten über das Deck tanzen möchte, weil ich aus keinem bestimmten Grund einfach happy bin.


Ich atme tief ein und genieße die Stille, nur das Rauschen des Meeres ist zu hören. Plötzlich wird die Beschaulichkeit durch Schritte unterbrochen. Eine kühle Hand legt sich auf meine Schulter.

„Na?“, höre ich eine Stimme. Sie gehört meinem großen Bruder. Ich drehe mich um. Charlie lächelt. „Hast du die Delfine gesehen?“ Ich nicke. „Die ersten seit zwei Wochen.“ „Wir ankern in der nächsten Bucht“, informiert mich Charlie. Mit meinem Blick folge ich seinem ausgestreckten Finger. Direkt auf unserem Kurs, gerade so erkennbar, zeigen sich die Umrisse einer Insel in der Ferne.

… ganzen Text lesen

Wenn die Schlangen schlafen | Laura Wiesinger

Wenn sich Gedanken wie Seile
fest
um meine hände
um meine beine
um meinen körper
meinen hals
schlingen
… ganzen Text lesen

Die Jury